Obstruktive Uropathie

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Klassifikation nach ICD-10
N13.9 Obstruktive Uropathie
ICD-10 online (WHO-Version 2019)
Klassifikation nach ICD-11
GB56 Obstruktive oder Refluxnephropathie
ICD-11: EnglischDeutsch (Entwurf)
Abdomen-Übersichtsröntgenaufnahme mit linksseitigem Ureterstent (Anblick von vorne).

Die obstruktive Uropathie (auch obstruktive Nephropathie, Harnstau, Harnstase, Refluxnephropathie[1] oder Refluxuropathie) bezeichnet eine Stauung des Urins unterschiedlichen Schweregrades aufgrund eines Abflusshindernisses in den ableitenden Harnwegen. Dieses Hindernis kann im Bereich der Nieren, der Harnleiter, aber auch im Bereich der Harnblase oder der Harnröhre liegen. Die aus dem Verschluss (Obstruktion) resultierende Druckerhöhung kann zum Verlust von Parenchymfunktion, zur Gefahr einer Urosepsis und zur Niereninsuffizienz führen. Dabei ist das Wort Uropathie der Sammelbegriff für nichtentzündliche Harnwegserkrankungen.[2] Die obstruktive Uropathie zählt zu den nicht-polyzystischen Nierenerkrankungen.[3]

Zu unterscheiden sind zwei verschiedene Formen, je nachdem, ob sich das Abflusshindernis einerseits vor der Harnblase (prävesikal) oder andererseits in oder nach der Harnblase (intra- oder postvesikal) befindet. Bei einer intra- oder postvesikalen Harnsperre kommt es zum akuten postrenalen Nierenversagen mit Niereninsuffizienz bis hin zur Dialysepflicht. Bei einem prävesikalen Hindernis kommt es nur bei doppelseitiger Harnstase zur klinisch relevanten Niereninsuffizienz.[4]

Ursachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ursache ist häufig ein inkompletter Verschluss der Harnleiterostien in der Blase, sodass bei der Miktion (Erhöhung des Blaseninnendrucks) der Urin nicht in Richtung Urethra, sondern in Richtung Ureter gelangt. Bei der obstruktiven Uropathie sollte berücksichtigt werden, dass bei diesem Symptomenkomplex auch Probleme der Blaseninnervation mit auftreten können, die einen Harntransport zusätzlich erschweren. Nicht selten kommen auch nicht urologische Fehlbildungen zusammen mit urologischen Fehlbildungen vor.[5]

Ursachen einer obstruktiven Uropathie können zum Beispiel im Einzelnen sein:

Einige weitere seltene doppelseitige Ursachen werden beim Stichwort akutes Nierenversagen im Absatz über die postrenale Azotämie beschrieben.

Verlauf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Abhängigkeit von der Lokalisation der Obstruktion können ein Hydroureters, eine Hydronephrose oder eine Hydrokalix (Erweiterung eines Nierenkelches) resultieren.[6]

Die Harnstase bei chronischer obstruktiver Uropathie erhöht die Infektanfälligkeit der Harnwege. Die dadurch gehäuft auftretenden interstitiellen (zwischen den eigentlichen funktionstragendem Geweben) Nephritiden (Nierenentzündungen) und der erhöhte Druck im Harnsystem mit Dilatation (Ausdehnung), die sogenannte Hydronephrose, führen zum Untergang funktionsfähigen Nierengewebes. So endet die obstruktive Uropathie ohne ausreichende entlastende Maßnahmen durch zunehmende Vernarbung in Schrumpfnierenbildung mit Niereninsuffizienz.

In seltenen Fällen kann eine obstruktive Uropathie eine sekundäre Polyzythämie verursachen.[7] Ebenso kann eine obstruktive Uropathie eine sekundäre Störung der renalen Azidogenese verursachen.[8]

Weitere Komplikationen sind beschrieben worden:[9]

Symptomatik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schmerzen sind für die akute Obstruktion charakteristisch. Eine sich langsam entwickelnde Dilatation des Hohlraumsystems ist typischerweise schmerzfrei.

Diagnostik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der einseitigen Uropathie mit einer normalen kontralateralen Niere sind der Plasma-Kreatinin-Spiegel und die glomeruläre Filtrationsrate in der Regel annähernd normal.[10]

Früher empfahl man die Nierenbiopsie: „Bei obstruktiver Uropathie und Nephrolithiasis ermöglicht die Punktion eine Beurteilung des Parenchymzustandes und insbesondere die Feststellung interstitieller Infiltrate.“[11] Heute nutzt man die Möglichkeiten der Bildgebung.

„Die obstruktive Uropathie führt typischerweise zu makroskopisch auffälligen Vernarbungen, die in der Bildgebung dargestellt werden können.“[13]

Therapie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Je nach Symptomatik und Lokalisation bieten sich folgende Therapiemöglichkeiten an:

Gradunterteilung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Harnstau lässt sich sonografisch in vier Schweregrade unterteilen:

Harnstau Grad I: Entspricht einer Dilatation nur des Nierenbeckens. Zur Verlaufsbeurteilung empfiehlt sich die Ausmessung der echofreien Ausdehnung in Nierenlängsachse. Differenzialdiagnostisch muss an ein ampulläres Nierenbecken gedacht werden.

Harnstau Grad II: Hier findet sich eine Dilatation sowohl von Pyelon als auch von Nierenkelchen – das Parenchym ist noch normal. Zur Verlaufsbeurteilung sollten Kelch- und Pyelonweiten ausgemessen werden.

Harnstau Grad III: Zur zweitgradigen Stauung kommt noch eine beginnende Parenchymverschmälerung hinzu.

Harnstau Grad IV: Die Maximalvariante des Harnstaus zeigt sich in einem kompletten Verlust des Nierenparenchyms – die hydronephrotische Sackniere.

Fetale obstruktive Uropathie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Selten kommt es schon vor der Geburt zur obstruktiven Uropathie.[14] Ursachen sind meistens verschiedene Erbkrankheiten.[15]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. C. Machleidt: Infektionen der Harnwege und der Nieren sowie des Urogenitaltrakts. In: Ulrich Kuhlmann, Joachim Böhler, Friedrich C. Luft, Mark Dominik Alscher, Ulrich Kunzendorf (Hrsg.): Nephrologie. 6. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart / New York 2015, ISBN 978-3-13-700206-2, S. 534–564, Zitat S. 553.
  2. Günter Thiele, Heinz Walter (Hrsg.): Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. Urban & Schwarzenberg, Loseblattsammlung 1966–1977, 6. Ordner (S–Zz), München / Berlin / Wien 1974, ISBN 3-541-84006-4, S. U 42.
  3. Jan Menne, Steffen Krautzig, Karl-Martin Koch: Epidemiologie von Nierenerkrankungen. In: Karl-Martin Koch: Klinische Nephrologie. 1. Auflage, Verlag Urban & Fischer, München / Jena 2000, ISBN 3-437-21730-5, S. 2–10, Zitat S. 8.
  4. Willibald Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch, 269. Auflage, Verlag Walter de Gruyter, Berlin / Boston 2023, ISBN 978-3-11-078334-6, S. 1824.
  5. Martin Zeier: Harnobstruktion, Nephrolithiasis, obstruktive Uropathie. In: DGIM Innere Medizin, Springer-Verlag, e.Medpedia.
  6. J. Hoyer: Nephrolithiasis und Nephrokalzinose, obstruktive Nephropathien. In: Ulrich Kuhlmann, Joachim Böhler, Friedrich C. Luft, Mark Dominik Alscher, Ulrich Kunzendorf (Hrsg.): Nephrologie. 6. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart / New York 2015, ISBN 978-3-13-700206-2, S. 565–610, Zitat S. 600 im Unterkapitel 12.3.1 Obstruktive Nephropathie.
  7. Jörg Radermacher, Karl-Martin Koch, Barbara Nonnast-Daniel: Niere und Blut. In: Karl-Martin Koch: Klinische Nephrologie. 1. Auflage, Verlag Urban & Fischer, München / Jena 2000, ISBN 3-437-21730-5, S. 860–875, Zitat S. 872.
  8. Johannes Brodehl: Primäre und hereditäre Tubulopathien. In: Karl-Martin Koch: Klinische Nephrologie. 1. Auflage, Verlag Urban & Fischer, München / Jena 2000, ISBN 3-437-21730-5, S. 467–488, Zitat S. 478, Tabelle 47.3.
  9. J. Hoyer: Nephrolithiasis und Nephrokalzinose, obstruktive Nephropathien. In: Ulrich Kuhlmann, Joachim Böhler, Friedrich C. Luft, Mark Dominik Alscher, Ulrich Kunzendorf (Hrsg.): Nephrologie. 6. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart / New York 2015, ISBN 978-3-13-700206-2, S. 565–610, Zitat S. 601 f. im Unterkapitel 12.3.1 Obstruktive Nephropathie.
  10. Das MSD Manual. 6. Auflage, Urban & Fischer, München / Jena 2000, ISBN 3-437-21760-7, Kapitel 217: Obstruktive Uropathie, S. 2218–2221, Zitat S. 2219.
  11. Arnold Kleinschmidt: Klinische Methoden der morphologischen und funktionellen Nierendiagnostik. In: Herbert Schwiegk (Hrsg.): Handbuch der inneren Medizin, 5. Auflage, 8. Band, 1. Teil, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York 1968, ISBN 3-540-04152-4, S. 276–473, Zitat S. 429.
  12. Lajos Maximilian Basten, David Maintz, Nils Große Hokamp: Urogenitale Radiologie – Obstruktive Uropathie. In: Radiologie up2date 2023, Nummer 23(04), Georg Thieme Verlag, S. 317–333. DOI:10.1055/a-2067-1134.
  13. C. Machleidt, Ulrich Kuhlmann: Interstitielle Nephritiden. In: Ulrich Kuhlmann, Joachim Böhler, Friedrich C. Luft, Mark Dominik Alscher, Ulrich Kunzendorf (Hrsg.): Nephrologie. 6. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart / New York 2015, ISBN 978-3-13-700206-2, S. 510–532, Zitat S. 519 im Unterkapitel Chronisch interstitielle Nephritis.
  14. Alexander Strauss, Maret Bauer: Fetale obstruktive Uropathie. In: Extracta gynaecologica, Jahrgang 6 (2009), S. 22 f.
  15. Manfred Hansmann, Bernd-Joachim Hackelöer, A. Staudach: Ultraschalldiagnostik in Geburtshilfe und Gynäkologie: Lehrbuch und Atlas. Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg 1985, Reprint 2014, ISBN 978-3-662-00581-1, S. 217, Tabelle 8.3.